Ist unser Klima noch zu retten?

Negative Kippelemente v/s Positive Kippelemente

Immer häufiger werden Wissenschaftler verschiedenster wissenschaftlicher Richtungen zitiert, die über den oder auch die Kipppunkte referieren, auf die unsere Gesellschaft zusteuert. Als ein Kipppunkt, wissenschaftlich eigentlich korrekter: Kippelement, wird in der Erdsystemforschung ein überregionaler Bestandteil des globalen Klimasystems bezeichnet, der bereits durch geringe äußere Einflüsse in einen neuen Zustand versetzt werden kann.

Diese Änderungen können sich abrupt vollziehen und zum Teil unumkehrbar sein. Führende Wissenschaftler gehen davon aus, dass bereits die Überschreitung des 1,5-Grad-Ziels mehrere Kipppunkte auslösen könnte.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat in der Studie Kippelemente – Großrisiken im Erdsystem den aktuellen Forschungsstand dazu zusammengefasst.

Basis dieser Studie ist eine wissenschaftliche Dokumentation aus dem Jahr 2022 der Universität Exeter, Stockholm Resilience Center, Future Earth, und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Danach werden von den Wissenschaftlern neun Kern-Kippelemente definiert, die so komplex in ihren Auswirkungen sein können, dass sie eine große Reihe weiterer Ereignisse auslösen können, was wiederum zu einer Kettenreaktion führen kann.

Wir sehen schon, dass in den Arbeiten der Wissenschaftlicher eine Menge Annahmen abgebildet sind. Ihre Hypothesen beruhen zwar auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft, ihre Gültigkeit ist aber nicht, bzw. noch nicht bewiesen.

Schauen wir uns einmal die neun Kern-Kippelemente genauer an:

Kippelement Eins: Grönlands Eisschild

Dieses Eisschild hat eine Ausdehnung von ca. 1,8 Millionen Quadratkilometern und bedeckt über 80 % der grönländischen Fläche. An manchen Stellen ist das Eisschild drei Kilometer dick. Im Zuge der globalen Erderwärmung schmilzt der Eisschild in den letzten Jahren mit Rekordgeschwindigkeit ab.

Zwischen 1979 und 2002 hat sich die in den Sommermonaten vom Abschmelzen betroffene Fläche um 16 % vergrößert. Der Abfluss des Schmelzwassers durch Spalten und Risse im Eis wirkt seinerseits wieder beschleunigend auf den Tauvorgang. In einer Studie des Jet Propulsion Laboratory der NASA wurde im Jahr 2007 vermutet, dass dies auch Grund dafür ist, dass sich die Gletscherzungen Grönlands mit zunehmender Geschwindigkeit in Richtung Meer bewegen.

Laut Satellitenmessungen wuchs zwischen 1996 und 2005 der jährliche Eisverlust von 96 km3 auf 220 km3 und in den Jahren 2006 bis 2008 auf durchschnittlich 273 km3 pro Jahr an. Andere Messungen, die die Einzelverluste aller Gletscher addieren, ergeben für das Jahr 2008 einen Nettoverlust von 145 km3. Zwischen 2011 und 2014 verlor der Eisschild auf Grönland im Schnitt etwa 269 Mrd. Tonnen Eis pro Jahr. Der Massenverlust hat sich seit den 1980er Jahren versechsfacht. Grönland hat den Meeresspiegel seit 1972 um 13,7 mm erhöht, die Hälfte davon in den letzten 8 Jahren.

Räumliche Verteilung der globalen und regionalen Kippelemente. Die Farben bezeichnen den Temperaturbereich, in dem ein Kippen wahrscheinlich wird. Abbildung designed am PIK (unter CC-BY Lizenz), wissenschaftliche Grundlage ist Armstrong McKay et al., Science (2022).

Kippelement Zwei: Arktisches Wintermeer-Eis

Das Nordpolarmeer hat eine Ausdehnung von über 14 Mio. Quadratkilometern. Es ist damit zwar der kleinste Ozean der Welt, spielt aber in der Energiebilanz der Erde eine entscheidende Rolle. Dadurch, dass die Fläche fast ganzjährig schneebedeckt ist, ist es damit automatisch die hellste Fläche unserer Erde, womit sie etwa 80 % der Sonneneinstrahlung widerspiegelt und ins All zurückwirft.

Wissenschaftler haben festgestellt, dass das mehrjährige Eis in den letzten 40 Jahren um mehr als die Hälfte geschrumpft ist. Das hat dann aber auch zur Folge, dass die Sonneneinstrahlung nicht mehr so stark widergespiegelt wird, wie es vorher gewesen war. Und das hat dann wiederum zur Folge, dass die Erdoberfläche die Sonnenstrahlen aufnimmt und sich erwärmt, was zu einer zusätzlichen Eisschmelze führen wird.

Begünstigt wird dieser Vorgang durch die Abnahme an sogenannten Polynya. Das Wort kommt aus dem Russischen und bezeichnet eine offene Wasserfläche in sonst eisbedeckten Meeresgebieten. Diese Fläche kann bis zu mehreren tauschen Quadratkilometern groß sein. Polynya haben einen entscheidenden Anteil an der Bildung von Meereis.

Sie entstehen durch Windeinwirkung und aufsteigendes, wärmeres Meerwasser. Dadurch arbeiten sie wie ein Motor für die Bildung von Meereis, denn sie führen Wärme in die Atmosphäre ab und tauschen diese gegen kältere Luftschichten.

Normalerweise bilden sich im Herbst und Winter neue, große Eisflächen im Laptev-Meer, nördlich der sibirischen Küste. Dieser Teil des arktischen Ozeans fungiert quasi wie eine Fabrik für Meereis. Das dort neu entstandene Meereis wird durch starke Winde Richtung Westen getrieben, vergleichbar mit einer Art Förderband.

Wenn jetzt aber das Meereis zurückgeht, bzw. sich zu wenig neu bildet, können sich auch keine Polynya neu bilden und der gesamte Eisproduktionsprozess wird unterbrochen.

Kippelement Drei: Boreale Permafrost-Böden

Unser Kontinent umfasst neun weltumspannende Ökozonen. Die boreale Zone ist eine davon und umspannt die Nordhalbkugel der Erde mit einer Fläche von ca. 13 % der irdischen Landfläche.

Die arktischen Perma- oder Dauerfrostböden in der borealen Zone sind über Jahrhunderte bis Jahrtausende entstanden und speichern riesige Mengen der Treibhausgase Kohlenstoffdioxid und Methan. Die gesamte im Permafrost der Nordhalbkugel gespeicherte Menge wird auf etwa 1.000 Gigatonnen geschätzt, die bei einem Auftauen größtenteils innerhalb eines Jahrhunderts freigesetzt werden würde. Dies würde sowohl zu einer regionalen, als auch globalen Erwärmen führen.

Zu den ökologischen Folgen kommen weitreichende Folgen für Infrastrukturanlagen. Verkehrswege und Bauten können durch das Auftauendes von Permafrost ihre Untergrundstabilität verlieren. Straßen, Eisenbahnlinien, Pipelines, elektrische Leitungen und Flughäfen in Sibirien, Alaska und im nördlichen Kanada sind auf Permafrost gebaut und würden damit erheblich betroffen sein.

Kippelement Vier: Westantarktischer Eisschild

Neben dem grönländischen Eisschild gibt es auf der Erde einen zweiten Eisschild, den Westantarktischen Eisschild. Im Gegensatz zum Eisschild auf Grönland, liegt der Westantarktische Eisschild über weite Teile unter Wasser, weshalb er auch als maritimer Eisschild bezeichnet wird.

An seiner stärksten Stelle hat er eine Dicke von 2 bis 3 km und liegt auf felsigem Untergrund.

Ein Abschmelzen des Eisschildes hätte dramatische Folgen. So würde bei einem vollständigen Abschmelzen der Meeresspiegel um etwa 5 Meter ansteigen.

Da der größte Teil des Eisschildes unter Wasser liegt ist die Beobachtung von Veränderungen im Eisschild sehr schwierig. Bis Anfang der 2000er Jahre habe exakte Messmethoden gefehlt und es konnte nur Schätzungen zur Veränderung bzw. Verringerung des Eisschildes vorgenommen werden.

Erst seit dem Jahr 2002 ist es möglich, Messungen mit einer hohen Genauigkeit zu erstellen. Dieses wurde durch den Einsatz von GRACE Gravity Recovery And Climate Experiment, einem Gemeinschaftsprojekt vom der DLR Deutschen Luft- und Raumfahrtgesellschaft und der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA, möglich.

Hierbei bestimmen zwei Satelliten das Schwerefeld der Erde, wodurch Veränderung der Masse der Eisschilde sehr genau ermittelt werden können.

Wir stehen hier also noch ganz am Anfang von genaueren Untersuchungen.

Kippelement Fünf: Ostantarktischer Eisschild

Der Ostantarktische Eisschild ist die größte Masse im antarktischen Eisschild. Sollte dieser einmal komplett abschmelzen, wären die Folgen dramatisch und würden den Meeresspiegel um mehr als 50 m ansteigen lassen.

Auch hier liegen, wie beim Westantarktischen Eisschild, genaue Untersuchungsergebnisse über Veränderung der Masse noch nicht vor.

Kippelement Sechs: Subglaziale Einzugsgebiete

Unter diesen subglazialen Einzugsgebieten werden Regionen verstanden, in denen große Gletscher „kalben“ und das Eis vom Ostantarktischen Eispanzer ins Meer fließt. Diese Eisschilde liegen, ebenso wie die großen Teile der Westantarktis auf dem Boden unterhalb des Meeresspiegels.

Drei größere Regionen werden darunter verstanden: Das mit Gletschereis vollständig bedeckte Wilkes-Subglazialbecken, das Aurora-Subglazialbecken und das Recoverybasins-Eisschild.

Das Kippen dieser subglazialen Einzugsgebiete mit dem Abschmelzen der Eisschilde würde dann ein sich selbstverstärkenden Fließprozess auslösen, der ebenfalls zu einem dramatischen Anstieg des Meerwasserspiegels führen könnte.

Kippelement Sieben: Umwälzzirkulation des Atlantiks

Bei uns in Nordeuropa ist die Umwälzzirkulation des Atlantiks hinlänglich als der „Golfstrom“ bekannt. Da wissen wir, dass er in der Oberfläche warmes Wasser aus dem Golf von Mexiko nach Nordeuropa bringt und für mildes Klima sorgt. Dieses kühlt sich ab und das kältere Wasser fließt in den tieferen Wasserschichten wieder zurück in Richtung Mittelamerika.

Dieser Massen- und Wärmeaustausch wird thermohaline Zirkulation genannt. Diese Zirkulation findet nicht nur zwischen dem Golf von Mexiko und Nordeuropa statt, sondern ist weltumspannend.

Damit die thermohaline Zirkulation aber störungsfrei stattfinden kann, ist kaltes Salzwasser notwendig. Wenn nun die Eisschilde und Gletscher schmelzen, und diese bestehen aus Süßwasser, wird der Salzgehalt des Meerwassers verändert und die Umwälzzirkulation könnte lahmgelegt werden.

Dies kann gravierende Auswirkungen haben auf Temperatur und Niederschlagsverteilungen – inklusive einer Erwärmung der südlichen Hemisphäre haben. Zusätzlich kann es zu einer Verschiebung der Intertropischen Konvergenzzone nach Süden kommen. Das würde Monsunabschwächungen in Afrika und Asien und zu einer Verstärkung in der Südhemisphäre kommen, was zu einer weiteren Austrocknung im Sahel und in Teilen des Amazonas führen kann.

Außerdem kann es zu einer Abkühlung im Nordatlantikraum kommen. Nach Einschätzung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung bedeutet das aber nicht, dass dieser Effekt die globale Erwärmung wesentlich abschwächen kann, denn die verschiedenen Prozesse beeinflussen sich auf komplexe Weise, und man kann die Temperaturen nicht einfach zusammenzählen.

Kippelement Acht: Umwälzung im Labrador- und im Irminger-Meer im Nordatlantik

Das Irminger-Meer und das Labrador-Meer liegen jeweils östlich und westlich an der Spitze Grönlands. Sie bilden eine regional begrenzte thermohaline Zirkulation, nehmen damit aber trotzdem im Nordatlantik eine Schlüsselposition ein.

2018 haben die Meeres- und Klimaforscherin Dr. Marilena Oltmanns und ihre Kollegen vom GEOMAR Helmhotz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel Messungen im Labrador- und Irminger-Meer durchgeführt. Sie haben Satellitenbilder und Daten von Messbojen in der Region ausgewertet. Sie haben nachweisen können, dass besonders warme arktische Sommer sich messbar auf die winterliche Umwälzströmung auswirken. Grund dafür war, dass im Sommers besonders viel Schmelzwasser von den grönländischen Gletschern ins Meer gelangt. Dieses legt sich wie eine stabile Schicht auf das von Süden herantransportierte warme, salzige Meerwasser.

Durch diese Barriereschicht kann das Meerwasser im Herbst und Winter weniger Wärme abgeben, das Oberflächenwasser bleibt dadurch wärmer und weniger dicht. Die Folge: Die für den Winter typische Durchmischung durch das Absinken von Oberflächenwasser in die Tiefe wird gehemmt. „Das bedeutet, dass die im Sommer entstandene Frischwasserschicht länger stabil bleibt und daher die Konvektion später einsetzt“, erklärt Oltmanns.

„Dieser Effekt könnte so eine erhebliche Schwächung der Konvektion bedeuten – besonders bei global steigenden Durchschnitttemperaturen“, sagt Oltmanns. Wie groß jedoch die konkrete Gefahr für die Umwälzströmung ist und wie sich Schmelzwasser und Meerestemperaturen in Zukunft weiterentwickeln, ist bisher offen.

Kippelement Neun: Regenwälder

Die drei großen Regenwaldregionen unserer Erde, Amazonien, Kongobecken und Südostasien mit Australien bilden die grüne Lunge unseres Planeten. Sie sind ein Element der Biosphäre, welches wegen der örtlichen Wasser- und Kohlenstoffkreisläufe eine wichtige Rolle im gesamten Erdsystem spielen.

Die drei großen Regenwaldgebiete unseres Planeten haben eine Ausdehnung von ca. 350 Millionen Hektar und speichern die gigantische Zahl von 70 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Das tut dem Klima der Erde sehr gut.

Der im Jahr 2020 veröffentlichten Studie Asynchronous carbon sink saturation in African and Amazonian tropical forests zufolge speichern Regenwälder aufgrund der globalen Erwärmung deutlich weniger CO₂ als noch in den Neunzigerjahren. Die daraus resultierende Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Hält die Negativentwicklung an, könnten sich die Regenwälder bis zum Jahr 2035 zu einem CO₂-Emittenten entwickeln. Für ihre Analyse hatten die Wissenschaftler 300.000 Bäume in den Regenwäldern von Amazonien und Afrika über Jahrzehnte hinweg untersucht. Laut der Analyse speicherten die Regenwälder in den 2010er-Jahren bereits ein Drittel weniger Kohlenstoffdioxid, als noch in den Neunzigerjahren.

Neben diesen neun globalen Kippelementen zählen Wissenschaftler weiter regionale Kippelemente, wozu u.a. das Meereis der Barentssee, Gebirgsgletscher, Nadelwälder, Korallenriffe und die Vegetation der Sahelzone gehören.   

Die negativen Kippelemente skizzieren ein Weltuntergangsszenario, von dem die Wissenschaftler annehmen, dass es so kommt. Eine gesicherte Erkenntnis ist dies nicht. Es sind halt alles Hypothesen.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, die auf zwei entscheidende Punkte hinweisen.

Zum einen gibt es jetzt schon mehrere positive Kippelemente, die dem Klima entscheidend helfen.

Zum anderen sind die meisten der wissenschaftlichen Dokumentationen und Studien von einem linearen Wachstum der erneuerbaren Energien ausgegangen, was sich als grundlegend falsch erwiesen hat. Das Wachstum ist überproportional dynamisch.

Schauen wir uns beide Punkte einmal genauer an:

Diese positiven Kipppunkte wurden in der im Januar 2022 veröffentlichten, gemeinsamen Studie Operationalising positiv tipping point towards global sustainability der Universität Hamburg und des University College London untersucht.

Die Wissenschaftler um den Hauptautor Tim Lenton, Direktor des Global Systems Institute (GSI) an der Universität Exeter, haben nachgewiesen, dass es in der Vergangenheit immer wieder positive Kipppunkte gegeben hat, die das Klima beeinflusst haben. In der Studie haben sie ein Rezept dazu verfasst, wie entscheidende Auslöser für positive Kipppunkte ausfindig gemacht und herbeigeführt werden können. Es wurden Beispiele analysiert, die positive Kipppunkte auslösen können, wie die sinkenden Kosten für grüne Technologie und verstärkte Subventionen in diesem Bereich. Oftmals sind es eine Kombination verschiedener Faktoren die einen positiven Kipppunkt auslösen können, wie beispielsweise sinkende Kosten, Förderungen der öffentlichen Hand und die erhöhte Akzeptanz bei den Elektrofahrzeugen und Solarenergie. Manchmal ist es aber auch ein einzelner Mensch wie Greta Thunberg, der durch sein Handeln eine weltweite Klimabewegung ausgelöst hat, die in vielen Bereichen bereits jetzt zu einem veränderten Handeln geführt hat.

„Der einzige Weg, wie wir unseren globalen Zielen bei wichtigen Themen wie Kohlenstoffemissionen und biologischer Vielfalt näherkommen können, sind positive Kipppunkte“, so Tim Lenton.

Zu einer ähnlichen Einschätzung sind das Beratungsunternehmen Systemiq und die University of Exeter in einer gemeinsamen Studie gekommen, die im Januar 2023 auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos vorgestellt wurde. In der Studie The Breakthrough Effect: How To Trigger A Cascade Of Tipping Points To Accelerate The Net Zero Transition, werden drei Super-Hebelpunkte definiert, die eine Kaskade von Kipppunkten für kohlenstofffreie Lösungen in den einzelnen Sektoren auslösen, die 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursachen.

Diese drei Super-Hebelpunkte werden ausgelöst, wenn Regierungen Elektroautos, den Fleischersatz und nachhaltigen Dünger fördern.

Der Kernpunkt bei ihren Überlegungen ist es, dass je mehr von etwas verfügbar ist, desto günstiger wird es und desto häufiger wird es nachgefragt. Wright’s Law wird dieses sozioökonomische Prinzip auch genannt. Die Betriebswirte definieren es so, dass die inflationsbereinigten Stückkosten um einen konstanten Faktor sinken, wenn sich die kumulierte Ausbringungsmenge verdoppelt.

Mit einem Blick in die Vergangenheit ist dies leichter zu erklären: Kühlschränke, Auto, Klospülung – vieles war am Anfang teuer und kaum verbreitet, setzte sich ab einem bestimmten Zeitpunkt aber geradezu explosionsartig durch.

Bei einigen Faktoren ist der positive Kipppunkt nahezu erreicht. In vielen Regionen der Erde sind Wind- und Solarstrom bereits die günstigste Form der Energieerzeugung. Durch den Ausbau der Erneuerbaren wird dies in immer mehr Ländern der Erde künftig der Fall sein.

Ausführlich dokumentiert wird dieser Kipppunkt in der Studie Global Electricity Review 2023 vom englischen Energie-Think-Tank Ember. Danach werden wir 2023 aller Voraussicht nach den kritischen Wendepunkt im Bereich der erneuerbaren Energien überschritten haben. Das bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen des Stromsektors als größte Quelle der weltweiten Emissionen das erste Mal sinken werden. Und dies, obwohl die weltweite Nachfrage nach Strom weiter wächst. Ember hat in der Studie belegt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind das Nachfragewachstum übersteigen wird.

Schauen wir uns abschließend die Dynamik genauer an.

Man mag es kaum glauben, aber der derzeit weltweit größte Treiber in der Umsetzung von Projekten Erneuerbarer Energie ist …. China. Nach Angaben der IEA Internationale Energie Agentur aus dem Bericht von 2023 investiert China allein so viel in erneuerbare Energien, wie die restliche Welt zusammen. Wow – das ist doch mal eine Ansage!

Weiterhin hat die IEA in dem Bericht festgestellt, dass derzeit jeden Tag ein Betrag von über 1 Milliarde US-Dollar in Projekte der Erneuerbaren investiert wird. Das kann und wird nicht ohne Wirkung für unser Klima bleiben.

Erste Länder stehen kurz davor, ihre Energieversorgung komplett aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Kenia erzeugt mittels Erdwärme, Wind- und Wasserkraft bereits rund 90 % seiner benötigten Energie aus Erneuerbaren. Norwegen hat sogar bereits eine Deckung von annähernd 100 % erreicht. Ähnliche Zahlen liegen aus Island vor. Albanien hat die 100 % erreicht, genauso wie Lesotho und Nepal. Und Bhutan und Tasmanien sind die ersten beiden Länder weltweit, die sogar CO2-negativ sind.

In Deutschland hat der ganzjährige Anteil an Erneuerbaren fast 60 % erreicht, zu Weihnachten 2023 waren es sogar komplett 100 %.

Diese Dynamik liegt auch mit daran, weil die Kosten für Projekte Erneuerbarer Energie dramatisch gesunken sind. Akkus für die Stromspeicherung sind in den letzten 10 Jahren um 90 % günstiger geworden. Gleiches wurde bei Windkraftanlagen erreicht und bei Solaranlagen waren es immerhin noch 80 %. Laut der Internationalen Energieagentur ist in diesen Bereichen der positive Wendepunkt überschritten.

Schauen wir uns einen anderen Punkt an, bei dem wir das positive Kippelement bereits überschritten haben: Die Ozonschicht, bzw. das sogenannte Ozonloch.

Vor einigen Jahren haben uns Wissenschaftler noch davor gewarnt, dass viele von uns an Hautkrebs erkranken, weil das Ozonloch immer weiter zunimmt. Und heute? Diese Wissenschaftler sind verstummt. Das Ozonloch ist zu manchen Jahreszeiten nahezu geschlossen. Forscher der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA und NOAA National Oceanic and Atmospheric Administration haben 2023 nachweisen können, dass das Ozonloch ganzjährig bereits um über die Hälfte kleiner geworden ist. 

Bei den negativen Kippelementen ist die „grüne Lunge“, also die Regenwald-Regionen aufgeführt. Kaum ein Land auf der Erde, in dem es nicht Wiederaufforstungsprogramme gibt.

Einige Beispiele gefällig? Dem australischen Agrarökonomen Tony Rinaudo ist es mit seiner FMNR-Methode gelungen, mittlerweile über 200 Millionen Bäume wieder zum Leben zu erwecken.

Die Initiative „Grüne Mauer“ ist ein Aufforstungsprojekt, dass sich quer durch Afrika zieht, vom Senegal bis nach Äthiopien. 21 Länder sind daran beteiligt. Auf 8000 km Länge sollen 100 Millionen Hektar unfruchtbares Land wieder begrünt werden, 250 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid gebunden und voraussichtlich zehn Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Allein in Äthiopien sind bereits mehr als 10 Milliarden Bäume gepflanzt worden.

In Tansania läuft das Projekt Justdiggit, bei dem bis zum Jahr 2030 insgesamt 130 Millionen Hektar degradierter Boden wiederherstellt wird, in Angola sind 100.000 Hektar.

Über das New Yorker Investmentunternehmen EQX Biome mit seinem Gründer und Vorstand Matthias Pitkowitz sind es gar 70 Millionen Hektar Regenwald im Kongo, die über einen Fonds geschützt werden und damit das weltweit größte Naturschutzprojekt werden soll.

Das alles sind nur wenige Länder in Afrika. Wie bereits geschrieben, gibt es in nahezu jedem Land der Erde Wiederaufforstungsprogramme. Auch dies wird nicht ohne positive Folge für unser Klima sein.

Lassen Sie mich diesen Blog mit einer Frage abschließen. Wir haben über 150 Jahre gebraucht, um unsere Erde, unser Klima in die katastrophale Situation zu bringen, in der wir heute stecken. Mit der Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt, der Frühindustrialisierung in den 1850er Jahren, der Erschließung der ersten Ölquellen um 1860 hat alles begonnen.

Glauben wir den wirklich ernsthaft, dass wir in nur wenigen Jahren alles wieder ins Lot bringen können, die Gesellschaft und die Wirtschaft umzubauen?

Wir werden sicherlich keine 150 Jahre brauchen, damit die benötigte Transformation gelingt, aber ein paar Jahre wird’s schon dauern. Und vergessen wir eines dabei nicht: Es sind die vielen kleinen Mosaiksteinchen, die nachher das große, ganze Bild ergeben.

Autor: Andreas Kamin

Andreas Kamin ist erfolgreicher Projektentwickler und Prozessoptimierer im Bereich erneuerbarer Energien. In den vielen Jahren seiner Tätigkeit hat er einen Blick entwickelt, über den Tellerrand der Erneuerbaren hinauszuschauen. Und er hat feststellen können, dass alles miteinander zusammenhängt und voneinander abhängig ist, wie Windkraft und Vogelschutz, Landwirtschaft und Biodiversität, Wachstum und Klimaschutz.

Mit seinem Erstlingswerk will er einen Gegenpol setzen zu Fake News, Weltuntergangsvorhersagen und düsteren Umweltwarnungen. Drei Jahre Recherche haben gezeigt, dass es praktische Lösungen für einige der komplexesten Herausforderungen gibt. Damit stellt er herkömmliche Meinungen in Frage und ermutigt seine Leser, anders zu denken.

Lösungen statt Weltuntergang - Das Buch

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