Was kostet und was bringt uns die Transformation der Gesellschaft?

Heute kann wohl niemand mehr ernsthaft bestreiten, dass der bereits eingesetzte Klimawandel Folgen mit sich bringt, die uns vor bisher nicht gekannte Herausforderungen stellen.

Zwei große Schadenssäulen definieren Volkswirtschaftler bei der Beschreibung der Klimaschäden und den sogenannten Klimafolgekosten: ausufernde Waldbrände und unkontrollierte Flutkatastrophen. Um es noch einfacher zu sagen: Feuer und Wasser.

Schauen wir uns beides einmal etwas genauer an.

 

Dürren durch langanhaltende Hitzewellen, gepaart mit niedriger Luftfeuchtigkeit und einer leicht entflammbaren Vegetation führen zu verheerenden Waldbrände auf fast allen Kontinenten.

Viele von uns erinnern sich sicherlich noch an die Flächenbrände, die 2019 in Australien mehr als 12 Millionen Hektar Land verbrannten. Das besondere an diesen Bränden war, dass sie in Wäldern der gemäßigten Zonen Australien wüteten, anstelle von Grasland und Savannen, wie sonst üblich. Damit waren dicht besiedelte Küstenregionen betroffen in denen mehr als drei Milliarden Tiere verendeten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Erholung des Waldökosystems viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauern wird.

Wir brauchen aber gar nicht auf die andere Seite unserer Erde zu schauen. Auch Europa hat sich zu einem neuen Risikogebiet für Flächenbrände entwickelt. Die Europäische Union hat in einer Untersuchung festgestellt, dass 40 Prozent mehr Brände allein im Jahr 2019 entstanden sind, als sonst üblich. Betroffen davon waren Länder wie Großbritannien, Irland, Polen und Deutschland mit seinen Wäldern mit hohem Kieferanteilen. Dazu kommt der gesamte skandinavische Raum mit Norwegen, Finnland und Schweden.

Es ist also nicht mehr nur die europäische Mittelmeerregion, die mittlerweile jedes Jahr von flächendeckenden Bränden betroffen ist. Italien, Spanien, Griechenland und die Türkei beklagen den Verlust von Millionen an Hektar Wald- und Buschland. Allen in Portugal werden im Jahresdurchschnitt 17.000 Brände registriert.

Die Liste ließe sich fortsetzen mit Bränden der Regenwälder in Brasilien und Indonesien, in Russland und den borealen Wäldern des nördlichen Polarkreises, in Kalifornien mit einer um 500 Prozent gesteigerten Intensität der Brände und nicht zu vergessen die Waldbrände in Kanada, bei denen eine Fläche vernichtet wurde, die größer ist, als die Hälfte von Deutschland.

Das Gegenteil zu Dürren und verheerenden Bränden sind Überschwemmungen und Flutkatastrophen.

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal sind über 220 Menschen ums Leben gekommen, ganze Dörfer wurde von den Wassermassen weggerissen. Der Aufbau dauert auch Jahre danach noch an.

Allein im Jahr 2023 wurden in Bosnien-Herzegowina, Italien, Kroatien, Österreich und Serbien ganze Ortschaften überschwemmt, Flughäfen außer Betrieb gesetzt und sogar das Formel 1-Rennen in Imola wegen Überschwemmungen abgesagt.

Schwerste Überschwemmung mussten in den letzten Jahren weltweit bekämpft werden. Tausende von Toten und Hundertausende von Geflüchteten, zerstörte Ortschaften und vernichtete Ernten waren unter anderen in Indien, Indonesien, Nigeria, China, Pakistan, Sudan und Jemen zu beklagen.

Der weltweit größte Rückversicherer, die Munich RE Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, hat in ihrem Bericht über das 1. Halbjahr 2023 dokumentiert, dass die Gesamtschäden durch Naturkatastrophen mit über 110 Mrd. US$ deutlich über dem 10-Jahres-Durchschnitt lagen. Hierunter fallen natürlich auch Extrem-Wetter-Schäden durch Tornados und Hagelstürme, sowie Erdbeben.

So wird das Vorstandsmitglied Thomas Blunck mit den Worten zitiert: „Wir müssen uns auch deutlich besser an die Folgen der Erderwärmung in Form von häufigeren oder schwereren Wetterkatastrophen anpassen.“

2021 hat die iöw Institut für ökologische Wirtschaftsforschung den Forschungsbericht Kostendimensionen von Klimaschäden – eine systematische Kategorisierung veröffentlicht. Darin schreiben die Auto:innen Prof. Dr. Jesko Hirschfeld, Dr. Ester Hoffman und Dr. Alexandra Dehnhardt von vier übergeordneten Kategorien von Klimaschäden:

Direkte materielle Schäden, also, wenn Gebäude, Straßen und Infrastruktur infolge von klimawandelbedingten Extremwetterereignissen beschädigt oder zerstört werden.

Direkte immaterielle Schäden, also, schwere Schäden die nicht immer in Euro zu beziffern sind. Darunter fallen beispielsweise Todesfälle durch Hitzewellen oder Sturzfluten, wie im Ahrtal. Auch die Beeinträchtigungen von Gesundheit, Lebensqualität und Zufriedenheit sind nicht monetär bewertbar.

Indirekte materielle Schäden, also, volkswirtschaftliche Schäden deren Grundlage der Klimawandel ist. Darunter fallen unter anderen Störungen und Verzögerungen innerhalb der Lieferketten durch überschwemmte oder zerstörte Infrastruktur oder auch Einbußen bei der Arbeitsproduktivität durch Hitzebelastungen. Gerade ein hochindustrialisiertes Land wie Deutschland mit seiner Vielzahl an internationalen Handelsverflechtungen ist von den indirekten Folgen des Klimawandels stark betroffen.

Indirekte immaterielle Schäden, also, wenn es durch den Klimawandel zum Verlust von Biotopen, Artenvielfalt oder Kulturgütern kommt. Diese Schäden haben indirekt Auswirkungen auf das Leben und die Wertvorstellungen in Deutschland.

Es bedarf sicherlich keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, welche Probleme die Beseitigung dieser Schadenspositionen in einer Volkswirtschaft auslösen, selbst in großen und gesunden Volkswirtschaften.

Da verwundert es doch sehr, wenn einige der gewählten Volksvertreter immer noch nicht über den eigenen Tellerrand hinausschauen und sich der Notwendigkeit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation zu einer ökologisch orientierten Volkswirtschaft verweigern.

Oder liegt es daran, was der Soziologie und Professor für Makrosoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Steffen Mau, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 1.9.2023 erklärte: „Teile der Gesellschaft sind veränderungsmüde. Erst die Pandemie, dann der Krieg, das Klima sowieso – viele Menschen fühlen sich von Problemen überrollt“. Mau müsste es eigentlich wissen, denn er war unter anderen 2022 und 2023 Mitglied der Jury für den Standortwettbewerb für das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation.

Nun ist es ja so, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Zum einen die Seite der Schäden, Probleme und die daraus entstandenen Kosten. Die andere Seite zeigt aber, was wir durch eine Transformation der Gesellschaft gewinnen können.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Gewinnen können!

Und genau das ist etwas, worüber in der Medienlandschaft kaum berichtet wird. Und genau das ist es denn auch, was die Veränderungsmüdigkeit umkehren kann, ja umkehren wird. Denn wenn wir einen Gewinn aus unseren Bemühungen zur gesellschaftlichen Transformation am Ende ziehen können, ist es doch umso leichter, die Veränderungen zu unterstützen, oder?

Genau in diese Kerbe hat die Studie Decarbonising the energy system by 2050 could save trillions der Universität Oxford aus dem September 2022 eingeschlagen.

Der Hauptautor der Studie, Dr. Rupert Way, von der Smith School of Enterprise and the Environment, sagte in einem Interview: „Frühere Modelle, die hohe Kosten für den Übergang zu kohlenstofffreier Energie vorhersagten, haben Unternehmen von Investitionen abgeschreckt und Regierungen nervös gemacht, wenn es darum geht, Richtlinien festzulegen, die die Energieumstellung beschleunigen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern. Aber die Kosten für saubere Energie sind in den letzten zehn Jahren stark gesunken, viel schneller als von diesen Modellen erwartet“.

Die Studie hat belegt, dass ein schneller Übergang zu sauberer Energie billiger ist als ein langsamer oder kein Übergang. Ebenfalls wurde nachgewiesen, dass die Vorstellung einfach falsch ist, dass es teurer wird, grün zu werden. Dies liegt unter anderem daran, dass die Kosten für grüne Technologien in den letzten zehn Jahren erheblich gesunken sind und aller Wahrscheinlichkeit nach weiter sinken werden. Das bedeutet, dass es nicht nur möglich, sondern auch rentabel ist, bis etwa 2050 ein CO2-neutrales Energiesystem zu erreichen.

Die Forscher haben in ihrer Studie ein Win-Win-Win-Szenario belegt, dass der schnelle Übergang zu sauberer Energie, statt eines Systems, das auf fossilen Brennstoffen basiert, zu niedrigeren Energiesystemkosten führt. Darüber hinaus kann gleichzeitig mehr Energie für die Weltwirtschaft bereitgestellt werden und der Zugang zu Energie für mehr Menschen international erweitert werden. Dieser Weg würde mindestens 12 Billionen US-Dollar einsparen, verglichen mit der Fortsetzung unseres derzeitigen Verbrauchs fossiler Brennstoffe.

Die Forscher haben tausende Übergangsmodelle analysiert. Darin enthalten waren Fragen wie: Was kostet es, Windparks aufzubauen, Atom- oder Kohlekraftwerke zu betreiben oder moderne Energiespeicher zu entwickeln? Ein Ergebnis: Allein die Kosten für Solarkraft seien in den letzten 20 Jahren doppelt so schnell gesunken wie in den optimistischsten Modellen vorhergesagt.

In die gleiche Kerbe hat eine der weltweit führenden Wissenschaftlerinnen bei den Themen Klima und Energie, Prof. Dr. Claudia Kemfert, mit ihrem im Februar 2023 erschienenen Buch Schockwellen: Letzte Chance für sichere Energien und Frieden eingeschlagen. Sie analysiert die aktuelle Energiekrise und erklärt, wie Gas und Öl als geopolitische Waffen eingesetzt werden. Sie zeigt aber auch Lösungen auf und was ein umfassender Klimaschutz und damit die Dekarbonisierung einer gesamten Gesellschaft an Kosten verursachen würde, also die Umstellung von emissionsintensiven fossilen Energien auf emissionsarme erneuerbare Energien.

Sie ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sowie Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Außerdem gehört sie dem Sachverständigenrat für Umweltfragen an und ist als Beraterin sowohl für die EU und die UN als auch für die Weltbank tätig.  Also, eine Wissenschaftlerin, die es wissen muss.

So stellt Sie die Fragen wie: Würde sich der Umbau lohnen? Bleibt es möglicherweise bei einem ökonomischen Nullsummenspiel? Oder müssen wir im schlimmsten Fall draufzahlen?

Wie bei einem Businessplan für ein Start-up-Unternehmen kalkuliert sie quasi den Break-even-Punkt der Energiewende. Sie simuliert dabei die volkswirtschaftliche Entwicklung, wenn bestimmte Klimaziele und Reduzierungen von Treibhausgasemissionen erreicht werden müssen. Sie analysiert und bewertet alle Investitionskosten, die für den Ausstieg aus den fossilen Energien und den Umbau der gesamten Infrastruktur auf erneuerbare Energien notwendig sind.

Das Ergebnis: Bis 2050 müssten rund 260 Milliarden Euro ausgegeben werden, was jährlich 6 Milliarden Euro bedeutet. Das klingt erst einmal sehr viel, wäre aber vergleichsweise wenig, wenn man die Kosten des einen mit den Kosten des anderen vergleicht. Also die Kosten für die Schäden durch den Klimawandel gegen die Kosten für den Umbau der Wirtschaft auf eine Dekarbonisierung.

Das Ergebnis für Deutschland ist danach eindeutig: Die Kosten des Klimaschutzes sind deutlich geringer als die Kosten des Klimawandels.

Nach ihrem Businessplan würden auf Deutschland durch den Klimawandel Kosten in Höhe von 800 Milliarden Euro zukommen. Dagegen schlagen die Kosten für Klimaschutz lediglich mit den schon genannten 260 Milliarden Euro zu Buche. Das veranlasst Kemfert zu der Aussage in ihrem Buch: „Klimaschutz erwirtschaftet 540.000.000.000 Euro für Schule und Kino“. Ist das nicht cool?

Im Rahmen der Glasgower COP26 hat sie im Oktober 2011 in einem Interview mit dem NDR gesagt: „Klimaschutz wird zu einem der neuen Wirtschaftswunder führen!“ Sie hat dies dahingehend erläutert, weil wir in wichtige Zukunftsmärkte investieren, wie erneuerbare Energien, Investitionen in Energieeffizienz, Gebäudesanierungen und die Transformation der Industrie zu grünem Wasserstoff. Wir entwickeln neue Technologien, Wertschöpfung und damit auch neue Arbeitsplätze und machen die Wirtschaft insgesamt zukunftsfähig.

Am 30.11.2023 wurde vom ZETT Zero Emission Think Tank and Goodfuture / Berlin die Studie Switch coal profitably to renewable energy veröffentlicht.

Danach könnten weltweit fast alle Kohlekraftwerke bis zum Jahr 2030 durch eine Kombination aus Photovoltaik, Windkraft und Batteriespeicher ersetzt werden. Das ist die technische Seite. Für diesen Blog ist aber auch die finanzielle Seite wichtig. Und wie sieht diese nach der Studie aus?

Ähnlich wie Prof. Dr. Claudia Kemfert in ihrem Buch einen Businessplan aufgestellt hat, haben auch die Autoren um Ingo Stuckmann, Thomas Schmidt und Thomas Ladwig eine Berechnung für Deutschland aufgestellt.

Danach würden sich auch in Deutschland die Abschaltungen aller noch laufenden 58 Kohlekraftwerke lohnen – nicht nur für den Klimaschutz. Für die Abschaltung und die Kosten für den Ersatz-Aufbau in erneuerbare Energien errechnen die Autoren, dass dafür gut 120 Milliarden Euro notwendig wären.

Demgegenüber stehen über eine Laufzeit von 30 Jahren erhebliche Gewinne, die durch eine günstigere Stromproduktion mittels Solar und Windenergie erzeugt wird. Über den kalkulierten Zeitraum von 30 Jahren wäre ein Plus von mehr als 550 Milliarden Euro zu verzeichnen.

Die Autoren der Studie haben ermittelt, dass in fast allen Ländern die Stromerzeugung aus Sonne und Wind billiger ist, als aus Kohlestrom. In der EU und auch in Deutschland wird Strom aus den erneuerbaren Quellen mittlerweile für rund drei bis vier Cent pro Kilowatt produziert. Die Kosten für Kohlestrom liegen in der EU im Durchschnitt rund dreimal höher. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass sich der Ersatz der Kohlekraftwerke in fast allen Länder der Erde finanziell lohnen würde.

Und nun kommen, wie soll es anders sein, die Kritiker und fragen: Was passiert mit den jetzigen Mitarbeitern. Da schlagen die Autoren vor, dass diese im Aufbau und Betrieb der Photovoltaik- und Windkraftanlagen weiter beschäftigt werden.

In der Studie wurden ganz aktuelle Entwicklungen noch nicht miterfasst. So beispielsweise, dass im dänischen Esbjerg durch den Bau der weltweit größten Meerwasserwärmepumpe die Leistung eines kompletten Gaskraftwerks ersetzt wird. Damit haben gut 100.000 Menschen in Esbjerg auch künftig Zuhause keine kalten Füße.

Und auch hier haben deutsche Entwickler und Ingenieure die Nase vorn. Entwickelt und gebaut in Deutschland durch die MAN Energy Solutions aus Augsburg.

Es wird gemunkelt, dass in Norddeutschland die Städte Hamburg, Kiel und Flensburg über ähnliche Lösungen mit MAN mehr als nur nachdenken.

Ganz aktuell haben das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe und das IOB Institut für Industrieofenbau und Wärmetechnik an der RWTH Aachen am 14.12.2023 die Studie Elektrifizierung und Wasserstoff statt Erdgas und Kohle veröffentlicht. 

Im Rahmen der Studie sind 1.800 Industrieanlagen und deren Potenzial zum Umstieg auf alternative Technologien untersucht worden. Danach birgt die Elektrifizierung energieintensiver Anlagen in der Industrie erhebliche Einsparpotentiale. Bis zu 40 Prozent weniger Energiebedarf in der Glasherstellung, sogar satte 60 % weniger bei Papier, Chemie und Nahrungsmitteln.

Insgesamt wurden 13 Industriezweige analysiert. In der Gegenüberstellung wurden die Energieverbräuche herkömmlicher Gasanlagen mit denen mittels Strom und Wasserstoff verglichen.

„Für die meisten Branchen liegen die Energieeffizienzgewinne durch die Elektrifizierung im Bereich von fünf bis zehn Prozent“, erklärt Tobias Fleiter, Mitautor und Geschäftsfeldleiter im Bereich Energietechnologien am Fraunhofer ISI. 

Nach einer Untersuchung des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2022 werden immerhin gut 22 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen durch die Industrie verursacht. Da ist also noch viel Luft nach oben. Und da sich nachweislich der Umstieg und die Transformation industrieller Prozesse auch finanziell lohnt, bleibt doch die Frage an manchen der Industriebosse: Warum noch warten?

Genau das haben sich wahrscheinlich auch der Vorstand und Aufsichtsrat der RWE AG gesagt und gehandelt. Mit der Stromerzeugung und dem –handel hat der Energiekonzern in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2023 satte Gewinne eingefahren.

„RWE wächst, und das sehr profitabel“, sagte Finanzvorstand Michael Müller in einer Telefonkonferenz bei der Präsentation der Zahlen. Zurückzuführen sei dies auf eine starke Investitionstätigkeit in Erneuerbare Energien. 20,3 Milliarden Euro hat das Essener Unternehmen in neue Windparks in der Nordsee und die Übernahme des US-Solarstromerzeugers Con Edison investiert. RWE ist es damit gelungen, seinen Gewinn mehr als zu verdoppeln.

Trotzdem ist RWE noch nicht da, wo das Unternehmen erklärtermaßen einmal hinwill: Klimaneutralität bis 2040. Dafür wurde das Konzept der Growing-Green-Strategie entwickelt, bei der allein in den nächsten sechs Jahren 55 Milliarden Euro in Erneuerbare investiert werden soll.

Schauen wir uns abschließend in diesem Blog noch ein paar Beispiele an, wie es gut funktionieren kann, wenn eine Kommune die Zeichen der Zeit erkannt hat.

2012 war eine kleine Gemeinde in Rheinland-Pfalz fast pleite. In Mörsdorf ging mit seinen 650 Einwohners fast nichts mehr. Dank hartnäckiger Visionäre und unermüdlicher Klimaschützer hat sich das finanzielle Blatt in Mörsdorf grundlegend gewandelt. Heute wird die Gemeindekasse durch die Nutzung lokaler Biomasse und den Betrieb von Photovoltaik- und Windkraftanlagen kräftig aufgebessert.

Schon 2018 wurde der Kreis als Energiekommune des Jahrzehnts ausgezeichnet, denn immerhin werden dort fast 350 Prozent des benötigten Stroms erzeugt, also dreieinhalb Mal so viel, wie der Kreis selbst benötigt. Und die überschüssige Energie wird dann verkauft.

Heute ist der kleine Ort Mörsdorf saniert und kann sich dadurch sogar eine soziale Infrastruktur leisten, die andere Kommunen neidisch machen dürfte: Ein Bus fährt die Kinder kostenlos zur gebührenfreien Kita, die Senioren zum Einkauf. Ab Frühjahr 2025 soll das neue Leuchtturmprojekt Mörs:Dorf fertig sein. Dann ziehen Kinder und Senioren in ein Generationenprojekt mit 1.000 Quadratmeter Lern- und Begegnungsort um. Das Essen wird vor Ort von einem Koch zubereitet und bleibt für Senioren und ortsansässige Kinder kostenfrei. Die Gebäude werden nachhaltig und klimafreundlich angelegt. Es kommt nur Holz aus dem eigenen Forst und recyceltes Material zum Einsatz.

So schließt sich der Kreis aus Nachhaltigkeit und den genutzten Vorteilen der gesellschaftlichen Transformation.

Gut einhundert Kilometer südlich von Mörsdorf liegt die Ortsgemeinde Fohren-Linden. Sie teilt ähnliche Erfahrungen, wie Mörsdorf, denn auch hier freut man sich über die Schuldenfreiheit dank vier Windkraftanlagen, die zur Gemeinde gehören.

Die Akzeptanz für die Windräder im Ort ist groß, denn der Nutzen ist für jeden greifbar: ein neuer Spielplatz für 40.000 Euro, niedrigere Grundsteuer, Umbau der Bushaltestellen auf Barrierefreiheit für 100.000 Euro, die Küche im Gemeindehaus erneuert für 30.000 Euro – alles ohne Kredite und der Etat der Gemeinde ist ausgeglichen.

Sind das nicht tolle Beispiele für andere Kommunen in Deutschland? Wenn’s in Mörsdorf und Fohren-Linden funktioniert, warum soll das nicht auch an anderen Standorten bei uns funktionieren.

Die letzten zwei Beispiele kommen aus dem Ausland: Mallorca und Nepal.

Auf der wohl beliebtesten Insel der Deutschen, auf Mallorca entstand bereits 2007 mit einer Fläche von 11.000 Hektar das Llevant-Schutzgebiet.

Die Marilles Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich dafür einsetzt, die Balearen zu einem weltweiten Beispiel für Meeresschutz zu machen. In Zusammenarbeit mit Ecoasca, einem spanischen Finanz- und Beteiligungsunternehmen für nachhaltige Investitionen, dem Balearischen Zentrum für angewandte Biologie und dem britischen Beratungsunternehmen Eftec hat Marilles 2021 die Studie 10 EUR of benefit for every euro invested in the Marine Protected Area of Llevant (Mallorca) zum Llevant-Schutzgebiet veröffentlicht.

„Die Ergebnisse der Studie zeigen die zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Vorteile, die sich aus dem Schutz des Meeres ergeben“, sagte der Meeresbiologe und Direktor der Stiftung, Aniol Esteban.

Diese Vorteile lassen sich auch konkret bemessen: Der Studie zufolge bringt das Schutzgebiet für jeden investierten Euro einen Nutzen in Höhe von zehn Euro.

Das sogenannte Naturkapital des Meeresschutzgebiets von Llevant trage jährlich 826.518 Euro zur lokalen Wirtschaft bei. Das entspreche 425,75 Euro pro Hektar pro Jahr. Wenn man den Wert des künftigen Nutzens über einen Zeitraum von 60 Jahren in der Gegenwart berechne, ergebe das eine Summe von 126 Millionen Euro.

Der größte Anteil an der Wertschöpfung entfällt mit fast zwei Dritteln auf die sogenannten erholungsbezogenen Dienstleitungen wie Tauchangebote, Bootsfahren und Touren für Touristen.

Der Studie zufolge haben sich auch die Bedingungen für die Fischerei verbessert und die Küstenerosion verlangsamt. Die Wasserqualität wurde besser, die Artenvielfalt größer und die Gegend wurde touristisch attraktiver. Berechnungen dieser Art, bei denen der Umwelt ein eigener Wert beigemessen wird, bezeichnet man als Naturkapitalbilanzierung. Bei dieser Herangehensweise werden die Leistungen, die ein Ökosystem für die Umwelt erbringt, in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einbezogen.

Schauen wir uns noch einmal die Naturkapitalbilanzierung in Zahlen an: Mit jedem investierten Euro erwirtschaftet das Schutzgebiet einen Nutzen in Höhe von zehn Euro! Kennen Sie ein Wirtschaftsunternehmen, das bei seinen Produkten einen so hohen Deckungsbeitrag erzielt?

Wir haben in Deutschland Weltnaturerbestätten wie das Wattenmeer, alpine Wiesen- und Moorlandschaften und die Buchenurwälder im Mittelgebirge. Dazu kommen traumhafte Landschaften wie im Harz und Erzgebirge und Urwälder wie den Bayerischen Wald. Ich wüsste von keinem dieser Gebiete, dass hier einmal eine Berechnung der Wertschöpfung durch das Naturkapital erfolgt ist.

Und nun sind wir auch schon im Himalaya, in Nepal. Hier hat der indische Unternehmer Dhan Bahadur Chaudhary einen unkonventionelleren Weg um eine naturbezogene Transformation zu erreichen.

Gemeinsam mit der nepalesischen Nichtregierungsorganisation BCN BirdLife International’s Partner for Nepal richtet er Geier-Restaurants ein. In Pithauli, einer Gemeinde im Süden Nepals, ist das erste Spezialitäten-Restaurant am Rande des Chitwan-Nationalparks eingeweiht worden. „Die Idee ist, dass die Geier im Reservat chemiefreie Rinderkadaver fressen können“, wird Chaudhary zitiert.

Einfach war der Weg zum ersten Geier-Restaurant für Chaudhary und die BCN nicht einfach, denn Rinder sind in Nepal und Indien Nationaltiere und werden von den Hindus als heilig angesehen. Ihr Töten ist rechtswidrig und wird hart bestraft. „So gab es anfangs Gerüchte, dass Kühe geschlachtet würden, um sie an die Geier im Restaurant zu verfüttern“, so Chaudhary.

Dementsprechend steht Rindfleisch hier auf keiner menschlichen Speisekarte, aber die Bauern züchten die Kühe wegen der Milch und als Zugtiere zum Pflügen der Felder.

Chaudhary kauft nun gemeinsam mit der BCN altersschwache Tiere auf, die entweder keine Milch mehr geben oder zu alt sind, um einen Pflug zu ziehen. Diese Tiere kommen dann auf Waldlichtungen, auf denen sie ihrem natürlichen Lebensabend entgegensehen, vergleichbar den Gnadenhöfen, wie wir sie in Deutschland für alte Tiere kennen.

Wenn die Kühe dann eines natürlichen Todes gestorben sind, werden die Kadaver gehäutet, um die Tierhaut lokalen Handwerkern für die Lederverwertung zur Verfügung zu stellen. Der gehäutete Kadaver wird den Geiern überlassen, um dann die übriggebliebenen Knochen einzusammeln und zu Geflügelfutter zu zermahlen.

So werden mit dem Tierschutzgedanken gleichzeitig lokale Kleinstunternehmer unterstützt. Die Geier-Restaurants haben aber noch einen weiteren, wirtschaftlichen Vorteil mit sich gebracht. Die Aasfresser ziehen bei ihren Mahlzeiten Dutzende von Touristen an, die für die Beobachtung der Wildtierfütterung gerne einen kleinen Obolus entrichten.

„Auf diese Weise erzielen die Dorfbewohner direkte und indirekte Einnahmen aus dem Tourismus“, sagt Ramesh Pokharel, ein Komiteemitglied des Geier-Restaurants in Gahachowk im Kaski District in Zentral-Nepal.

Ich möchte den Blog mit einem Zitat vom Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck abschließen. Er hat am 17.11.2023 vor der ESMT European School of Management and Technology / Berlin einen Vortrag zum Thema Transformation der Industrie und Gesellschaft gehalten. Er hat seinen Vortrag mit den Worten „Die Klimaneutralitätsfrage verbindet sich unmittelbar mit der Wohlstandsfrage in Deutschland“ beendet.

Dem ist nichts hinzufügen.

Autor: Andreas Kamin

Andreas Kamin ist erfolgreicher Projektentwickler und Prozessoptimierer im Bereich erneuerbarer Energien. In den vielen Jahren seiner Tätigkeit hat er einen Blick entwickelt, über den Tellerrand der Erneuerbaren hinauszuschauen. Und er hat feststellen können, dass alles miteinander zusammenhängt und voneinander abhängig ist, wie Windkraft und Vogelschutz, Landwirtschaft und Biodiversität, Wachstum und Klimaschutz.

Mit seinem Erstlingswerk will er einen Gegenpol setzen zu Fake News, Weltuntergangsvorhersagen und düsteren Umweltwarnungen. Drei Jahre Recherche haben gezeigt, dass es praktische Lösungen für einige der komplexesten Herausforderungen gibt. Damit stellt er herkömmliche Meinungen in Frage und ermutigt seine Leser, anders zu denken.

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